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Die Zucht
dominant vererbbarer Merkmale

Katzenzüchter ohne Kenntnisse der Vererbungslehre können es nicht wissen: Selbst eine jahrelange Reinzucht im Hinblick auf dominant vererbbare Merkmale schließt nicht aus, dass sich trotzdem rezessive Erbanlagen über Generationen im Erbbild eines Lebewesens halten können. Um die Reinerbigkeit hinsichtlich eines dominanten Merkmals festzustellen, ist es nötig, eine "Reinerbigkeitsprüfung" vorzunehmen. Es genügt also nicht, nur immer Gleiches mit Gleichem zu verbinden, um das Erbbild kennenzulernen. Diese "Tests" führen allerdings zwangsläufig immer wieder zu mischerbigem Nachwuchs. Für diese Testpaarungen nimmt man solche Katzen, die alle in Frage stehenden rezessiven Erbanlagen im Erbbild oder sie in ihrem Erscheinungsbild zeigen. Außerdem war eine Vielzahl der bei Katzen herausgezüchteten Rassen und Farbschläge - neben zeitweilig aufgetretenen und zur Zucht verwendeten Mutationen - nur mit Hilfe anfänglicher Kreuzung verschiedener Merkmale denkbar.

Einige Beispiele aus der Praxis mögen das soeben Gesagte erläutern:

1. Vollpigmentierung dominiert über verdünnte Farben
Ein für reinerbig schwarz gehaltener Sealpoint-Siamkater wird mit einer ebensolchen Sealpoint-Katze gepaart und bringt, neben seal point, zuweilen blue point, chocolate point und lilac point Nachwuchs hervor.

2. Einfarbigkeit dominiert über den Siam-Maskenfaktor
Ein schwarzer Perserkater besitzt unter seinen Vorfahren in der 5. zurückliegenden Generation eine blaue Colourpoint-Katze. Er wird mit einer roten Perser-Katze gepaart, unter deren Vorfahren sich die gleiche Katze befindet. Ergebnis: Neben einem roten Katerchen und einem Schildpatt-Kätzchen werden zwei schneeweiße Jungtiere geboren. Das eine entwickelt nach einigen Wochen blaucreme farbene Abzeichen, das andere, ein Katerchen, wird Colourpoint blue. Der gleiche Erbvorgang liegt vor, wenn z. B. Orientalisch Kurzhaar-Eltern Siam-Nachwuchs produzieren.

3. Schwanzlosigkeit dominiert über die Anlage für normale Schwanzlänge
Bekannt ist, dass man Manx ohne Schwanz (Rumpy) aus physiologischen Gründen mit stummelschwänzigen Manx (Stumpy) oder auch mit Europäisch Kurzhaar paart. Dabei ergeben sich, neben den erwünschten Rumpies, immer wieder Nachkommen mit normalem Schwanz, die, da ihre Eltern dem Europäisch Kurzhaar-Standard entsprechen mussten, ebenfalls als Europäisch Kurzhaar anzusprechen sind.

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren! Entsprechen die überraschend aufgetauchten "Anderen" genau dem für ihre Rasse und ihren Farbschlag geforderten Standard, besteht durchaus kein Grund, sie nicht mit vollen Ahnentafeln auszustatten und ihnen, sobald sie das entsprechende Alter erreicht haben, wie z. B. bei der DRU, die volle Konkurrenzfähigkeit auf Ausstellungen zuzugestehen. Niemand käme auf den Gedanken, die blue-, lilac- und chocolate point-Siamesen aus seal-point Eltern von allen Vorrechten der Siamesen als Rassekatzen auszuschließen. Auch sind nur wenige Verbände in der Vererbungslehre noch derart unbedarft, dass sie den Colourpoint-Nachwuchs aus dem zweiten Beispiel nicht als vollwertige Perser anerkennen. Umsomehr verwundert es, dass sich - bis auf wenige modern denkende und genetisch gut unterrichtete Zuchtorganisationen - bis heute hartnäckig die Meinung hält, Siamesen aus Orientalisch Kurzhaar seien nicht "vollwertig" und bedürften erst drei weiterer "Reinzucht"-Generationen, um als solche anerkannt zu werden. Dabei ist heute allgemein bekannt, dass die ersten Orientalisch-Kurzhaar aus einfarbigen, meist sehr schlanken Kurzhaar-Katzen (z. B. Russisch Blau des alten Standards, Abessinier) unter stets erneuter Einkreuzung von Siamesen des besten Typus über viele Generationen hin entstanden sind und dass sorgfältigste Auslese den heutigen, standardgemäßen Siamtyp dieser Rasse gefestigt hat. Selbst eine erfahrene - wenn auch betagte - englische Siam-Züchterin beklagte es kürzlich bitterlich, dass ihre reingezüchteten Sealpoint-Siamesen auf Ausstellungen mit SealpointSiamesen konkurrieren müssten, deren Eltern Orientalisch Kurzhaar, Havana, Ebony oder Foreign White seien. Hierzu wäre zu sagen: All das, was an Erbanlagen im Erbbild vorliegt, kann bei den Nachkommen wieder in Erscheinung treten und besitzt damit ein Recht auf Gleichberechtigung. Dennoch legt sich der gezielt arbeitende Züchter freiwillig Beschränkungen auf. Er paart z. B. seine Foreign White nicht mit schwarzen Orientalisch Kurzhaar. Weshalb wohl? Weil Foreign White reine "Siamesen im weißen Kleid" sein sollen (das Zuchtziel heißt sogar: "Reinerbige Sealpoint-Siamesen im weißen Kleid"!), was jahrelang in Veröffentlichungen und Diskussionen in englischen Fachblättern propagiert wurde. Die als Nachwuchs von Foreign White geborenen Sealpoint - Siamesen entsprechen typgemäß hervorragend dem gültigen Siam-Standard.

Hoffentlich setzt sich endlich in der Cat Fancy weltweit die Erkenntnis durch, dass die genau nach dem Siam-Standard entsprechenden einfarbigen Orientalisch Kurzhaar aller Farben, gemeinsam mit Siamesen, eine große Familie echter Schlankform-Katzen bilden. Wir brauchten keine Standards, wenn sich die Bewertungen auf Ausstellungen nach der Abkunft der vorgestellten Katzen richteten! Doch Richter 4 müssen objektiv sein. Sie bewerten auf diesen Schönheitskonkurrenzen so, wie es in allen Lebensbereichen bei Wettkämpfen üblich ist, die Erscheinung (d. h. hier zugleich die züchterische Leistung). Mögen meine Ausführungen dazu beitragen, dass sich in absehbarer Zeit alle fortschrittlichen Katzenzucht-Organisationen um eine einheitliche Regelung bemühen und diese unmissverständlich in ihren jeweiligen Zuchtrichtlinien verankern.

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